„Eine Lehrkanzel für Schulpädagogik hätte kaum besser besetzt werden können als durch ihn“ schreibt Wolfgang Brezinka (2003), der damals wohl beste Kenner der österreichischen Universitätspädagogik.
Helmut Seel wurde im Sommersemester 1972 an die Universität Graz berufen, nachdem er sich zuvor im Jänner 1972 als Erster an der damaligen Hochschule für Bildungswissenschaften in Klagenfurt mit der Arbeit „Lehrobjektivierung in der Bildungsschule“ habilitiert hatte; die Lehrbefugnis wurde für die Disziplin „Unterrichtswissenschaft“ ausgesprochen.
Sein wissenschaftliches Interesse galt zunächst also vor allem der Erforschung des Unterrichtsprozesses und war durch seine berufliche Tätigkeit wohl vorgezeichnet. Nach dem ausgezeichneten Abschluss der Lehrerbildungsanstalt in Linz im Jahr 1953 übte er den Lehrberuf an mehreren Schulen in Oberösterreich als Volksschul- und Hauptschullehrer und ab 1964 als Professor für Pädagogik an der Bundes-Lehrerbildungsanstalt in Linz aus. Daneben studierte er von 1958 bis 1963 an der Universität in Graz Pädagogik, Psychologie, Philosophie und Volkskunde, wo er 1962 die Lehramtsprüfung für Pädagogik an Lehrerbildungsanstalten ablegte. Aufgrund seiner Dissertation „Der Unterrichtsprozeß in gestaltpsychologischer und gestaltanalytischer Betrachtung“, die sein Betreuer Ferdinand Weinhandl als „im Rahmen der neueren pädagogischen Fachliteratur anerkennend hervorgehoben zu werden verdient“ bezeichnete, wurde er 1963 zum Doktor der Philosophie promoviert. Als Professor für Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule in Linz ab 1968 ließ er sich 1970 an die neu gegründete Hochschule für Bildungswissenschaft in Klagenfurt als „Habilitations-Aspirant“ versetzen. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit an der Hochschule wurde er 1971 Leiter der Abteilung I des Zentrums für Schulversuche und Schulentwicklung in Klagenfurt, einer Einrichtung des BM für Unterricht zur Entwicklung und Betreuung der Schulversuche, die damals gemäß der 4. SchOG-Novelle österreichweit begannen. Diese nebenamtliche Tätigkeit, die bisweilen bis an die Grenzen der Belastbarkeit ging, versah er bis 1976.
Professor Seel gönnte sich danach am Institut für Erziehungswissenschaften nur ein Jahr „Normalität“ als Professor. Bereits 1977 bis 1979 wurde er als Dekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät durch die Aufgabe herausgefordert, dass UOG 75 in die „Fakultätswirklichkeit“ zu übertragen. Überdies hat er bereits ab 1973 eine in Österreich vielbeachtete Neuordnung der Pädagogischen Ausbildung der Lehramtskandidaten an den Universitäten entwickelt. Die Ausbildung fand in Kleingruppen statt, unterstützt durch Microteaching und Klassenhospitationen. Der Thematik der Lehrerbildung schrieb er dabei immer mehr eine Schlüsselrolle für gelingende Schulreformen zu.
Der nach wie vor schulreformerische Schwerpunkt seiner Arbeit äußerte sich auch in seinen zahlreichen Publikationen. Neben den Studien zum Unterrichtsprozess sind es vor allem die 1974 erschienene „Allgemeinen Unterrichtslehre“ (drei Auflagen bis 1984) und die Buchpublikationen zur Geschichte und Reform des österreichischen Schul- bzw. Bildungswesens (1985, 1988, 2004, 2010). Ferner hat er mehr als 70 Aufsätze publiziert, vorwiegend zu Schulorganisationstheorie, Schulverwaltung und Neuordnung der Lehrerbildung. Zu erwähnen ist jedenfalls auch seine breite Förderung des Faches, das sich in der Betreuung von mehr als 50 Dissertationen ausdrückt. Als mehrmaligem Institutsvorstand ist es ihm darüber hinaus gelungen, 1984 eine Professur für Erwachsenenbildung für das Institut zu erreichen und die Abteilung für Sozialpädagogik dem Institut zu erhalten. Erwähnenswert ist auch seine Initiative, dem Lehrpersonal in den Krankenpflegeschulen über das „Pflegewissenschaftliche Curriculum“ im Rahmen des Diplomstudiums für Pädagogik den Zugang zu einem akademischen Studium zu eröffnen. Diese Möglichkeit wurde in beachtenswertem Ausmaß genützt und kann als ein Impuls für die Einrichtung des pflegewissenschaftlichen Studiums in Österreich gewertet werden. Neben diesen vielen Initiativen und Belastungen war es ihm immer auch ein Anliegen, das Arbeitsklima am Institut durch gemeinsame Ausflugs- und Schitage zu fördern.
Durch seine exzellenten schulorganisatorischen und schulgesetzlichen Detailkenntnisse blieb Professor Seel nicht nur ein wichtiger schulpolitischer Berater innerhalb der SPÖ – er war dort Mitglied seit den 1960er Jahren –, sondern wurde als deren Abgeordneter in den Nationalrat entsandt und erfüllte von 1992 bis 1994 die Funktion des Schulsprechers der Sozialdemokratischen Partei Österreichs. Seine Arbeit im Parlament bezog sich vorwiegend auf Fragen der Schul- und Hochschulreform, wozu er seine allseits anerkannte Expertise einbrachte.
Nicht unerwähnt bleiben soll neben seinen verschiedenen weiteren Funktionen der nachhaltige ehrenamtliche Einsatz für die Wirtschaftshilfe für Studierende (WIST). Dort hat sich Helmut Seel seit Beginn des Vereins (1987) in verantwortungsvoller Funktion um den Aufbau von Wohnmöglichkeiten für Studierende in der Steiermark bemüht.
Seine zahlreichen Leistungen wurden durch die Verleihung des Großen Goldenen Ehrenzeichens des Landes Steiermark (1987) und des Großen Goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich (1994) öffentlich gewürdigt.
Im Herbst 2001 ist Prof. Seel im Alter von 68 Jahren emeritiert worden. Über die Einrichtung eines Diskussionsforums im Internet blieb er jedoch dem bildungstheoretischen Diskurs in Österreich noch jahrelang verbunden. Nun hatte er aber endlich auch die Zeit gefunden, sich mehr seiner Familie mit der wachsenden Schar der Enkelkinder und Urenkel zu widmen und konnte sich auch die Muße für seine geliebte Musik gönnen, die ihn und seine Gattin Grete bis zuletzt begleitet hat.
Josef Scheipl, 20.4.2021